Leben an der Frontlinie in den 1950er Jahren
Durch den Zusatz zum Waffenstillstand, den Hasan Mustafa am 2.Mai 1949 ausgehandelt hatte, war das Dorf zumindest in den Nachwehen zu Krieg und Vertreibung gesichert. Die Möglichkeiten waren jetzt allerdings auch beschränkt: Wie das gesamte Westjordanland war auch Battir erst einmal vom Mittelmeer, den Hafenstädten Jaffa und Haifa abgetrennt. Auch die Zugverbindung nach Jerusalem gab es nicht mehr – vor 1948 fuhren immerhin drei Zugpaare täglich und hatten Bäuerinnen und Bauern ermöglicht, frische Produkte auf den Markt in Jerusalem zu bringen. Stell dir das vor: Das Dorf stand buchstäblich vor dem Nichts. Nur das Wasser war geblieben, zwei starke Quellen und mehrere kleine.
Terrassen und Bewässerung werden erneuert
Lebensgrundlage war die Landwirtschaft und Ernährung der Einwohner. Daher der Fokus auf die Erneuerung der Bewässerungskanäle und den Zugang zu den Feldern gleich unterhalb des Dorfes und der Quelle. Als ich 2018 wieder einmal in Battir war und der Dorf-Quelle den üblichen Besuch abstattete, kam gerade ein Mann aus dem Quellhäuschen. Er hatte offensichtlich ein Bad genommen und war stolz darauf, dass es darin so sauber ist: „Jeder von uns passt auf das römische Bad auf!“ Im Quellhäuschen strömt das Wasser aus einem Tunnel über einen Auslass knapp über Kopfhöhe heraus und fällt in den kleinen überdachten Teich. Am engen Eingang kannst du deine Kleidung trocken ablegen, und schon weiß ein Besucher: Da badet schon einer! Und weil die römische Legionen hier eine Inschrift nahe der Quelle hinterlassen haben, wird das Quellhäuschen kurzerhand zum römischen Bad erklärt! (Das sage ich mit einem Augenzwinkern.)
Beitar: Belagerung duch mehrere Armeen (später mehr)
Die Aufteilung des Wassers bestimmt die Zeitrechnung
Insofern ist die Quelle seit 1950 geschickt gefasst und dient sogar als Duschmöglichkeit. Du kannst dir aber auch nur Füße und Arme waschen… Von dort fließt das Wasser durch einen kurzen Tunnel in das Bewässerungssystem der Terrassen unterhalb der Dorfquelle. Die oben gelegenen Bewässerten Felder kannst du gleich besichtigen und sehen, wie das Wasser gleichmäßig durch kleine Gräben verteilt wird. In Battir sagen die Leute scherzhaft: „Wir haben die Acht-Tage-Woche!“ Sie meinen damit die Aufteilung des Wassers, das die acht Klans, Sippen mit Landbesitz unterhalb der Quelle organisieren, der Einfachheit halber in Tagen eingeteilt.
Ein großer Teich, ein Wasserspeicher, der wohl bis in die spät-römische Zeit zurück geht, sichert die Versorgung in der Zwischenzeit. Die Gemüsefelder, die so bewässert werden können, reichten ursprünglich bis hinunter ins Wadi auch auf die andere Seite der Bahnlinie. Das kannst du auf den alten Aufnahmen deutlich zu sehen. Und das war eine Grundlage der Argumentation Hasan Mustafas gegenüber den Militärs. Kein Wunder also, dass die Erneuerung der Kanäle eine wichtige Priorität war, als es 1949 um die Zukunft des Dorfes und die Rückkehr seiner Einwohner ging.
Friedliche Konfrontation: Battir vertritt seine Interessen gegenüber Militärs (später mehr)
Hasan Mustafa hatte viele überzeugen müssen, wieder in das Dorf zurückzukehren. Die Bedingungen hatten sich verschlechtert. Mustafa, der Gemeinwesen-Entwicklung (auf Englisch Community Development) in Kairo studiert und in Bagdad gelehrt hatte, der als Journalist in Jaffa gearbeitet hatte, war jetzt zuhause gefordert. Seine persönliche Entscheidung, nicht in die Stadt zu gehen, sondern in seinem Heimatdorf zu bleiben, war anfangs sicher gut möglich gewesen durch die Eisenbahn- Verbindungen. Ohne Eisenbahn war das erst recht eine Entscheidung für das Dorf und die Verantwortung.
Der Bahnhof Battir: die Eisenbahn als Lebensader der Bäuerinnen und Bauern (später mehr)
Arbeitseinsatz für die Gemeinschaft: Al-‚Ona
Wie auch schon beim kreativen Widerstand greift Hasan Mustafa auf Prinzipien des Zusammenlebens in den Dörfern Palästinas zurück: Gemeinschaft als Zusammenhalt, Verantwortung jedeR Einzelnen für die Gemeinschaft und gemeinschaftliche Arbeit, auf Arabisch al-‚Ona. Die gemeinschaftliche Arbeit wird jetzt sehr wichtig, schließlich geht es um das Wohl aller in Battir. Die Liste der Errungenschaften dieser Arbeitseinsätze ist lang. Der Erneuerung der Bewässerungsanlagen 1950 folgten zum Beispiel 1953 eine Straße, die Battir an die Landstraße zwischen Husan und Al-Khader anschloss. Wenn alle mit anpacken, kann die Gemeinschaft auch große Herausforderungen bewältigen. Isolation, Stillstand und Abwanderung wurden so zunächst verhindert. Mit gemeinschaftlicher Arbeit hilft das Dorf sich selbst. Battir ist das lebende Beispiel, wie eine Gemeinschaft sich selbst helfen kann, so schrieb Mustafa 1959 in seinem Buch.
„Battir is a living example of what a community can do to help itself.“
Hasan Mustafa 1959, in seinem Buch „Welcome to Battir“
Bildung für Mädchen und Frauen
Der erste Unterrichtsraum der Mädchenschule war 1952 fertig, 1957 waren alle Jahrgänge der Mädchen im Dorf in der Schule. Mustafa hatte, als Mitarbeiter selbst beteiligt, die Organisation der Vereinten Nationen für die palästinensischen Flüchtlinge, „United Nations Relief and Work Agency“ UNRWA davon überzeugt, dass Dörfer an der Waffenstillstandslinie besondere Unterstützung brauchten. Für diese Dörfer an der Frontlinie, die er Frontdörfer nannte, hielt er das insbesondere im Schulwesen für besonders nötig. Die Verbindung nach außen wurde neu definiert, mit einem Postamt 1955, das auch Telegrafenstation war. Außerdem wurde 1957 ein Behandlungsraum für Ärzte, einer für die Kinderfürsorge, und ein Raum für gemeinschaftliches Handarbeiten für Frauen gebaut. So entsteht eine Art Dorfgemeinschaftshaus in Battir. Mit gemeinschaftlicher Arbeit hilft das Dorf sich selbst.
UNRWA – die Organisation der Vereinten Nationen für die palästinensischen Flüchtlinge
Bäume und das Micro-Klima: Erholung für Einwohner*innen und Besuchende
Dir werden als Besucherin vor allem die Bäume und blühenden Büsche auffallen. Ein schöner und nützlicher Garten direkt am Haus ist für Bauernfamilien nichts besonderes. Und doch gibt es eine Besonderheit in Battir. Dort wurde der Umgang mit Abfall bewusst geändert: Anstelle der Abfallhaufen neben den Häusern legten die Einwohner*innen Gärten an. Sie pflanzten Bäume. So wartet Battir mit Zypressen zwischen den Häusern auf, die dem Dorf heute eine gewisse Schönheit verleihen. Ursprünglich ging es um Gesundheit, und die Müllhaufen neben den Häusern wurden entfernt – der Müll musste weiter weggebracht werden. Zum Thema Müllhalde an anderer Stelle. Erreicht haben die Einwohner*innen noch mehr. Auch das Micro-Klima ist angenehmer, und insgesamt wirkt Battir in seinem alten Ortskern geradezu erholsam.
7 Gründe, warum du Battir in Palästina besuchen musst
Gemeinsam mit den Terrassen gehören diese Errungenschaften zum UNESCO Welterbe. Die Grundlagen dazu legten die Einwohner*innen durch gemeinschaftliche Arbeit in den 1950er Jahren. Hörst du diese Geschichte auf deiner Tour, gehst du schon einen Schritt weiter weg von Konfrontation, andere beschuldigen und den Konflikt anheizen – hin zu Verstehen, zu Hoffnung, zu Wandel. Ein Grund mehr, Battir zu besuchen! Im übrigen bin ich überzeugt, dass wir mit aufmerksamen Zuhören weiter kommen.
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