Hagar, Abraham und die Verheißung Gottes: Du siehst mich

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Ein ungewöhnliches Bild: Abraham zusammen mit Sara und Isaak, aber auch Hagar und Ismael. So hat es Lucy D’Souza-Krone gemalt. „Die  Gemeinsamkeit des Ursprungs und der darin erhaltene Segen… “ – müssen neu entdeckt werden. Hier wird etwas sichtbar, was vielen Menschen, auch gläubigen Menschen – entgegen der Verheißung – längst verloren scheint. Vielleicht kommt es aber genau darauf an, wie wir auf die vermeintlich so unveränderliche Realität schauen. Mit welchen Blick wir hinschauen.

Mehr zum Titelbild von Lucy D’Souza-Krone

Vor diesem Bild ist Hagar auf der Flucht. Was muss passieren, dass ein Mensch die sichere Zugehörigkeit zu einem Klan aufgibt, sich in die völlige Unsicherheit der Wildniss flüchtet? Ihr Kind soll anderen gehören. Aber Hagar möchte nicht die Lebensspenderin für ihre Besitzer sein. Sie wehrt sich dagegen, zu einer Art Kollateralschaden der Verheißung zu werden. Ihre Weigerung ist so radikal, dass sie in die Wüste verschwindet.

Abrams bzw. Abrahams Blick auf die Situation der Hagar war nicht klar, und seine Aussage dazu auch nicht. Überhaupt hat Abraham, was die Frauen in seinem Leben angeht, eher unklare Haltungen gezeigt und vage Aussagen getroffen. Den Ägyptern erzählt er, Sara bzw. Sarai sei seine Schwester. Vielleicht war das nur eine realistische Einschätzung seiner Situation als Mann auf der Flucht, vielleicht war es eine Lebensangst. Diese Angst, die ihn sogar das verheißene Land wieder verlassen ließ. Gott jedenfalls korrigiert diese unklare Haltung. Die Ägypter reagieren auf das Eingreifen Gottes respektvoll – und Abraham kehrt wieder zurück ins verheißene Land (Genesis 12).

Ähnlich seine Reaktion auf das Verhalten Hagars: Um die Durchsetzung des Rechts der Ehefrau soll sich Sara bzw. Sarai kümmern. Der Blick der Anderen, der Blick der sozialen Kontrolle, dürfte eindeutig gewesen sein: Du hast dich zu fügen! Sarais Blick ist einfach nur demütigend. 

Gottes Blick dagegen ist ein Blick in Compassion, im Mitfühlen, sozusagen durch die Träne. Lucy D’Souza-Krone malt Hagar in einer Träne, als sie die Quelle in der Wüste erreicht. Diese Träne Gottes ist das, was ihr in dieser ausweglosen Situation zukommt, zufließt. Gottes Blick ist ein anderer als der übliche Blick. Darauf kann Hagar antworten: Du siehst mich! Zwar gilt Gottes Verheißung Abram und Sarai, Abraham und Sara, aber auch die Nachkommen Hagars werden von Gott nicht verlassen sein (Genesis 16).

Hagar in der Träne Gottes (Gemälde von Lucy D’Souza-Krone)

Im Jahr 2001 hatte ich die Ehre, Lucy D’Souza-Krone und Andreas Krone nach Hebron – Al-Khalil zu begleiten. Damals hatte die Spirale der Gewalt das Land scheinbar im Griff, der öffentliche Transport im Westjordanland hing von der tagesaktuellen Lage, dem Geschick der Fahrer der Linientaxis und der Bereitschaft der Passagiere ab, zwischen Checkpoints auch mal Strecken zu Fuß zurückzulegen. Lucy und Andreas waren in Sachen Abraham und Sara unterwegs, lebten für ein paar Tage in Beit Dschala und ließen sich auf die örtlichen Bedingungen ein. Die Beiden vertrauten ihren lokalen Gewährsleuten, die selbst im Land unterwegs waren. So konnten wir nach Hebron „wallfahren“, die heiligen Stätten besuchen und Menschen begegnen.

Welchen Einfluss hat die „Wallfahrt“ nach Hebron auf die Reise der Beiden gehabt? Heute traf ich Lucy auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin. Ihr Besuch in Hebron ist für sie unvergesslich. Aus ihrem Tagebuch heraus konnte sie ihre Erfahrungen in Bilder umsetzen: Wassermangel, brennende Trockenheit, Namen,  Gesichter… Jedenfalls entstand ein ganzer Zyklus von eindrucksvollen Bildern, wie ich finde. Diese 9 Bilder finden sich auch auf der Seite von Lucy D’Souza-Krone, wo sie auch aus der Sicht der Künstlerin beschreiben sind.

Lucy D’Souza-Krone: Die Bilder als Galerie

Lucy D’Souzas Bild zeigt, dass wir für das Wahrnehmen des Heiligen Landes, für unsere Vorstellung vom Zusammenleben im verheißenen Land eine völlig neue Vision brauchen. Die Verheißung treibt Hagar indirekt in die Verzweiflung – das kann Gott nicht hinnehmen. Hagar erzwingt eine eigene Verheißung für sich und ihr Kind. Gott jedenfalls kann Hagar sehen und eine Verheißung aussprechen. Für Hagar wird Gott der „Gott des Hinschauens“ (Bibel in gerechter Sprache). Die ursprüngliche Verheißung für Abram und Sarai wird nicht angetastet, aber nun gibt es eine weitere Verheißung. Wir müssen ernsthaft überdenken, welche Vision uns leitet – bei unserem Hinschauen und unserem Reisen.

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